Vom Zauber der Enttäuschung

Ein Widerspruch im Titel?

Keineswegs! Jeder Mensch erlebt im Laufe seines Lebens mehrfach das meistens negative Gefühl der Enttäuschung. Einerseits stellen wir uns selbst die schönsten Dinge in unserer Fantasie vor und verlieren für eine Zeitlang gern ein bisschen den klaren Blick auf die Tatsachen. Andererseits tragen oft genug andere Menschen, Institutionen und die Medien dazu bei, dass wir uns den wunderbarsten Vorstellungen hingeben, weil sie sich davon einen Gewinn versprechen. Den machen sie meistens auch, halten aber nicht oder nicht ganz ihre Versprechen.

Es tut weh, wenn Angelegenheiten sich nicht entwickeln, wie wir es uns erträumten oder Menschen uns nicht die Freude machen, unseren Erwartungen zu entsprechen. Es stürzt manchmal in tiefe Traurigkeit oder Verzweiflung. Betroffene beschuldigen das Leben, die Werbung oder zumindest einen bestimmten Menschen, halten es oder ihn für ungerecht, unfair und verlogen. 

Enttäuschung wird also überwiegend als etwas erlebt, das von außen durch andere in uns verursacht wird. Niemand wird auf den Gedanken kommen, dass er einen nicht unbeträchtlichen Anteil an der Enttäuschung hat, so lange er den Blick auf die persönliche Beteiligung verschließt. Da kann ein einfacher Trick schon ein wenig helfen: Man schaue einmal genauer auf das Wort „Enttäuschung“. Dann entdeckt man, dass es zwei Wortteile sind. Es steckt die Vorsilbe „ent-„ und der Begriff „Täuschung“ darin. Die kleine Vorsilbe bedeutet: weg oder fort. Das heißt in dieser Wortzusammensetzung, die Täuschung ist weg. Hat man das für sich erkannt, was bleibt dann übrig vom Gefühl der Enttäuschung?

Auflösung eines Irrtums

Ist man ent-täuscht, hat man ganz nüchtern betrachtet einen Irrtum erkannt. Mehr nicht. Natürlich macht das für einen Enttäuschten die Sache  zunächst nicht weniger schmerzhaft. Aber die Erkenntnis, dass man sich schlicht selbst getäuscht hat, führt zur klareren Sicht auf die Realität und die Eigenbeteiligung. Darin liegt eben das Schmerzhafte, dass man für einen Irrtum größtenteils allein verantwortlich ist. Selbsterkenntnis ist fast immer schmerzhaft. Es bedeutet für viele das Eingeständnis eines Fehlers, einer Schwäche – und wer mag schon die Wurzel eines Problems gern bei sich selbst finden?

Kann man Enttäuschung überhaupt vermeiden?

Antwort: nein. Zumindest selten. Kaum ein Mensch wird von sich behaupten können, seine Erwartungen und Hoffnungen einerseits zu hegen und andererseits hübsch realistisch bleiben zu können. Das ist ein schwieriger Drahtseilakt, den wohl niemand ganz beherrscht. Stattdessen  träumt der Mensch und wünscht und hofft. Das ist ganz natürlich und richtig so. Vor allen Dingen wird man im Leben nicht generell enttäuscht, sondern manchmal erfüllen sich auch Träume und Hoffnungen.

Wie kann man mit Enttäuschung umgehen?

Aus dem Gefühl der eintretenden Ernüchterung kann ein bisschen Analyse der Tatsachen schon Licht in die Angelegenheit bringen. Bevor man alle Verantwortung demjenigen zuschiebt, von dem man sich enttäuscht fühlt, empfiehlt es sich, den Zeigefinger auf sich selbst zu richten und die eigene Beteiligung zu sehen. Hilfreich ist die Verarbeitung in einem Tagebuch. Das bringt die nötige Klarheit in die Gedanken und Gefühle. Ein Gespräch mit der betreffenden Person, von der man sich enttäuscht fühlt, ist konstruktiv wirksam – denn vielleicht muss man auch zukünftig miteinander auskommen. Das kann zum Beispiel am Arbeitsplatz oder in einem Verein notwendig sein. Man kann ja nicht wegen einer Enttäuschung gleich den Job hinschmeißen oder will auch nicht den heißgeliebten Sportverein verlassen.

Und wieso kann Ent-täuschung Zauber sein?

Der Zauber einer Ent-täuschung liegt vielleicht zum Beispiel darin, dass der Umgang miteinander nach Aussprache und gemeinsamer Verarbeitung qualitativ viel besser ist. Ganz besonders hervorzuheben ist der persönliche Erfahrungswert. Hat man einmal eine Enttäuschung ganz konstruktiv gesehen und bearbeitet, kann es für die Zukunft leichter sein, sich vor großem Schmerz im Falle eines Falles doch wenigstens ein bisschen zu bewahren. Es lehrt vielleicht, realitätsbezogener zu bleiben und den Boden unter den Füßen nicht zu verlieren – auch wenn man sich Hals über Kopf ganz doll verliebt hat. Zugegeben, einfach ist es nicht. Aber welcher Zauberer hat je behauptet, dass seine Tricks einfach wären?

Foto von Gert Altmann (Freiburg) www.pixabay.com

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