Wer hat ihn nicht?
Die meisten Menschen denken mindestens einmal in ihrem Leben über eine grundlegend andere Lebensweise nach, behaupte ich. Diese Behauptung fußt auf Erfahrungen. Angefangen bei meinen Eltern, die einst planten von Nordrhein-Westfalen ins Saarland zu ziehen, dort ein Eigenheim zu bauen und damit das damalige Leben wirklich völlig zu verändern und sogar mit neuer beruflicher Chance für meinen Vater auch wirtschaftlich zu verbessern. Bis zu einer langen Liste von Freunden, Bekannten, Kollegen und Nachbarn, die über Veränderung sprachen, von ihren Vorstellungen über das Wo und Wie geradezu schwärmerisch fantasierten.
Ihren Traum erfüllt haben sich die wenigsten. Ganz genau: keiner von ihnen.
Immer gab und gibt es gefühlt tausend Gründe, eine solche Idee eben (besser?) nicht umzusetzen. Neun von zehn Menschen bleiben schon bei den ersten gedachten Hürden, die zu überwinden sind, in ihren Überlegungen stecken. Schnell wachen sie auf und loben sich für ihren Realitätssinn, der sie schön am Boden hält und so weitermachen lässt wie immer.
Sollten Träume Träume bleiben?
Zumindest habe ich mal so argumentiert.
Kurze Geschichte: Ziemlich viele Jahre lang träumte ich davon, Motorrad zu fahren, wollte den Führerschein machen und mit einem schicken Bike – nein, nicht die Gegend unsicher machen – die Welt, wenigstens aber Europa bereisen. Der heftige Sturz mit einem kleinen Motorroller, fast aus dem Stand, also ohne Geschwindigkeit, aber so heftig, dass ich auf die Seite schlug, schlimme Blutergüsse und eine Gehirnerschütterung davontrug, ließ mich diesen Traum überdenken. Die Vorstellung, mit vielleicht 80–100 km/h in irgendeiner Leitplanke oder um einen Baum gewickelt zu landen, dort zu „enden“, ließ mich Abstand nehmen von diesem Traum. Ich betrachtete den Sturz mit dem kleinen Motorroller als Zeichen. Statt Führerschein und Motorrad entschied ich mich für ein Klavier.
Sehe ich euch schmunzeln? Auch meine Tochter schmunzelte zunächst, aber dann fragte sie mich entgeistert, ob das mein Ernst sei, schließlich wäre doch das Motorradfahren immer schon mein Traum gewesen. „Manche Träume sollten vielleicht ebensolche bleiben“, argumentierte ich. „Träumen vom Cruisen mit einem Bike ist völlig ungefährlich. Ein Sturz vom Klavierhocker weniger wahrscheinlich als ein Unfall mit dem Motorrad, er ist ganz sicher nicht tödlich, und man trägt vermutlich nicht mal eine ernsthafte Verletzung davon, sollte man überhaupt vom Hocker fallen. Und last but not least: Auch vom Klavierspielen träume ich schon ewig.“
Aber grundsätzlich kann und sollte niemand davon ausgehen, dass Träume Träume bleiben sollen oder müssen. Es ist wohl immer eine Frage des Vertrauens in die Machbarkeit. Eine Veränderung im Leben ist meiner Meinung nach relativ sicher immer realisierbar und muss deshalb nicht nur in unseren Träumen stattfinden.
Mein Traum vom Andersleben
Es begann mit einer Vision: Warum und woher auch immer hatte ich eines Tages plötzlich ein Cottage in Südwales vor meinem geistigen Auge: … eingebettet in viel Grün mit Wiesen und Baumbestand, mit drei bis vier Schlafräumen, einem großen Wohnraum, großzügigem Esszimmer, Bädern, Wintergarten, Terrasse umgeben von einem wunderschönen Garten und das Ganze angegliedert an ein Dorf oder eine Kleinstadt, in der man sich mit allem Notwendigen versorgen könnte … Auf den Wiesen um das Cottage grasten zwei, drei Ponys und zwei Kühe, Hühner und natürlich gab es einen Hund … ich sah Menschen zu mir kommen, Reisende, Wanderer, Radfahrer, die Rast machten, denen ich Kaffee oder Tee, eine kühle Erfrischung und Kekse oder belegte Brote servierte. Manche mochten einige Tage bleiben … im großen Speisezimmer trafen alle zusammen am großen Tisch. Es wurde geplaudert, gelacht … es ging lebendig und fröhlich zu …
Von dieser Vorstellung war ich so begeistert, dass ich anfing zu googeln. Gibt es so ein Haus, fragte ich mich, und wurde auf Anhieb fündig. Ich war ziemlich erstaunt, dass meine Vision sich in den Angeboten der Immobilienmakler in Südwales spiegelte. Kann man so was kaufen? Ja, man kann. Das Angebot ist unglaublich groß, und die Preise sind nicht himmelschreiend.
Seitdem habe ich die Angebote abonniert, freue mich über jedes Haus, das meiner Vision nahekommt und träume …
… weiter
Nun würde ich vermutlich kein bed & breakfast eröffnen (aber warum eigentlich nicht?).
Oder ein Wanderer-Café … (s. o.)
Tatsächlich würde ich diese Idee „parken“ und eine Entwicklung flexibel handhaben, auf mein Gefühl vertrauen, wenn es mir „sagt“: Tu es! Dann würde ich es tun!
Aber viel eher wünsche ich mir ein PROJEKT. – Wie das aussehen könnte?
Menschen finden zusammen, weil sie gemeinsam leben möchten. Es gibt genug Menschen, die allein sind und sich Gemeinschaft wünschen. Sie sind in einem gewissen Alter, fühlen sich lebendig, unternehmungslustig und einfach zu jung, um sich in die Seniorenkiste verfrachten zu lassen. Sie verweigern sich dem Einfluss der Werbung (angefangen bei Tebonin über Tena-Dings bis hin zum Lifta), von „tollen Angeboten“ wie dem Seniorenticket, Seniorenteller und Essen-auf-Räder-Service und dem infektiösen Einreden von Gehhilfe, betreutem Wohnen und Rollator … Sie sind gesund, fühlen sich fit und wollen es bleiben. Sie wollen die Regie in ihrem Leben nicht den lieben Kleinen (auch wenn die inzwischen erwachsen sind) überlassen oder irgendwem anders. Sie erwarten noch etwas vom Leben!
Dafür halten sie sich körperlich und geistig fit, essen vernünftig, genießen maßvoll und lieben das Leben, die Natur und die Kunst.
Wichtig jedoch ist: Gemeinschaft. Die Fitness eines Menschen auf allen Ebenen ist ganz wesentlich positiv beeinflussbar, wenn er sich einer Gemeinschaft zugehörig, akzeptiert und in ihr geliebt fühlt.
Von der Machbarkeit
Jaaa … Optimistisch, wie ich bin, gehe ich davon aus, dass so etwas machbar ist.
Vor dem Wo und Wie und Wann steht die Frage nach dem WER. Und wer alles? Und wie viele?
Ich gebe zu, der Traum ist kein kleiner. Aber ich hatte schon vor einigen Jahren Kontakt zu jemandem, der so ein ähnliches Projekt im Osten Deutschlands aufgezogen hat. Dort gingen sie sogar so weit, sich möglichst autark zu versorgen, was natürlich voraussetzte, dass die Mitglieder der Gemeinschaft über entsprechende berufliche Voraussetzungen verfügten. Alle Achtung, das hatte mich schwer beeindruckt. Vielleicht, so überlegte ich schon, könnte ich mich einfach einem bestehenden Projekt anschließen? Mhm. Ich will aber z. B. nicht in den Osten Deutschlands und absolute Autarkie habe ich auch nicht im Sinn.
Aus mir bisher unerfindlichen Gründen zieht es mich nach Südwales … und wie die Geschichte mit dem Roller betrachte ich auch die Vision als ein Zeichen, eben genau dorthin zu gehen, wenn ich meinen Traum von einer Lebensgemeinschaft Gleichgesinnter leben will.
Zur Machbarkeit gehört natürlich die Finanzierbarkeit.
Als alleinstehender Mensch, erst recht als Freiberufler, bekommt man keinen Kredit; erst recht und ganz besonders dann nicht, wenn man bereits 60 Lenze zählt. Die Bank kann ja nicht sicher sein, ob sie ihr Geld wiederbekommt … Sicherheiten hab ich auch keine. Wer, wie ich, drei Kinder allein aufzieht und so ziemlich jeden Job macht bzw. derer auch schon mal zwei machen musste, schafft keine „Sicherheiten“. Das alltägliche Leben kostet.
Man könnte so ein Objekt sicher auch mieten … ihr merkt, ich bin nicht bereit, eine Hürde einfach stehen zu lassen und umzukehren, weil ich keinen Weg drüber, vorbei oder darunter hindurch sehe. Ich schau mir die Hürde an und betrachte die Möglichkeiten.
Ebenfalls zur Machbarkeit gehören die Menschen, die sich engagiert anschließen mögen.
Das, so werden jetzt viele denken, dürfte eigentlich die größte Schwierigkeit darstellen. Das, meine Lieben, sehe ich anders. Gemeinschaft lebt nicht durch die Gleichheit oder große Ähnlichkeit aller Charaktere, sondern durch deren Facettenreichtum. Wir sind Individuen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass man sich kennenlernt, sich mit den Stärken und Schwächen eines jeden arrangieren kann und dennoch mit Achtung, Respekt und Akzeptanz in einer Gemeinschaft leben, lachen, lieben und füreinander da sein kann. – In unserer Gesellschaft haben wir das bloß verlernt oder schlimmstenfalls bereits vergessen. Und was nicht gleich und nicht langfristig „passt“, wird heutzutage schnell aussortiert.
Das, so meine ich, ist die verkehrte Art und Weise mit Unterschiedlichkeiten umzugehen.
Und so hätte ich kein Problem damit, völlig fremde, neue Menschen wahrhaft kennenzulernen und mich auf eine Gemeinschaft mit ihnen einzulassen, wenn das Ziel auch für sie dasselbe wäre.
Ein schöner Traum! – Ein zu kühner Plan?
Warum zu kühn?
Einfach nein zu einem kühnen Plan zu sagen, ohne erst mal wirklich alles bedacht zu haben, ist falsch. Denn erst wenn alles zu Ende gedacht wurde, wird man ein Ergebnis haben. Und warum sollte ein Plan, so verwegen und visionär er auch daherkommt, denn nicht Realität werden können?
Hätte Walt Disney so gedacht, hätten wir seine fantastischen Zeichentrickfilme niemals gesehen. Er wurde so oft ausgelacht wegen seiner Filmideen und von den Produzenten abgewiesen. Aber ihn trieb seine Vision an, und er ließ nicht locker, ließ sich seine Vision einfach nicht nehmen. Er fand Wege, vertraute seiner Fähigkeit und vor allem seiner Vision.
Da mich nun meine Vision partout nicht verlassen will, pflege ich sie weiterhin. Wann und wie ich interessierten Kooperationspartnern (so will ich sie mal nennen, denn wir sprechen hier ja von einem PROJEKT) begegnen werde – insbesondere, weil diese blöde hausgemachte C-Krise derzeit hinderlich ist und vielleicht auch der Brexit das Ganze erschweren könnte –, werde ich erleben. Ich bin trotz dieser gedachten Hürden in meiner Aufmerksamkeit vollkommen präsent und vertraue auf die Zeichen. Die gibt es nämlich immer, ungeachtet aller Probleme dieser Welt.
Das Leben wird mir die Menschen auf den Weg schicken. Das Vertrauen auf mein Gefühl wird mich leiten, und dann muss dieser Traum keiner bleiben.